Mein Weg zu Impro I

Mit 12 Jahren hatte ich meine erste Begegnung mit improvisiertem Theater. Es geschah in einem Urlaub an der Südküste Cornwalls. In der Blüte meiner Pubertät weigerte ich mich vehement mit meiner Mutter und meinem Bruder auf den Küstenpfaden zu wandern und wollte stattdessen nur das für mich unglaublich aufregende Fernsehprogramm auf diesem braunen rauschenden Röhrenfernseher erforschen. Da entdeckte und verliebte mich in die science-fiction-comedy serie Red Dwarf, überwältigt von der Folge in der alle Hauptfiguren sterben und dann erfahren, dass ihr bisheriges Leben nur ein Computerspiel war. Ich konnte nicht genug kriegen von der zugleich drögsten und spannendsten aller Quizshows, Countdown, bei der Kandidat:innen unter nervigem Ticken Rechenwege präsentieren und Buchstaben zu endlosen Worten zusammen setzen. Ich sah Stephen Kings ES, der mir jahrelang den Weg ins Bett durch einen dunklen Flur vermasselt hat. Aber am meisten war ich beeindruckt von Whose Line is it Anyway. Die Originalversion der improvisierten Game-Show, die - Fluch oder Segen? - in vielen Teilen der Englischsprachigen Welt synonym mit improvisiertem Theater ist. Und es machte für mich sooo viel Sinn: Natürlich wird ein Auftritt viel lebendiger und mitreißender und Lustiger, wenn alles im Moment vor den Augen des Publikums entsteht. Und die sind auch noch so unglaublich gut darin. Ich war begeistert, auch wenn ich kaum ein Wort verstanden habe.

Nach dem Urlaub habe ich das alles wieder vergessen, bis auf Red Dwarf, für das ich eine intensive und langjährige Begeisterung entwickelt habe. Dann kam Rap. Mit 13 bekam ich meine erste Snoop Doggy Dogg CD zu Weihnachten, schaute jeden Samstag Yo MTV Raps, hab selber angefangen zu rappen, meine Gruppe Defekte Dichtung gegründet (facts: mit den besten deutschsprachigen Rappern aller Zeiten!), endlose Freestyle Sessions an der Weser, bei meinem Kumpel in seiner Minibutze unterm Dach zu viele Bongs geraucht und gerappt und geschrieben und Beats gebaut. Und noch einen Kopf, noch einen Vierzeiler, noch ein Loop. Wir sind in die Hip Hop Szene eingetaucht und sind auf jeder Jam aufgetreten von Aurich bis Augsburg. Wochenendticket mit 20 Leuten und ab. Dann Equipment besorgt, Platte gemacht, Tapes, Kollabotracks, mehr Shows und irgendwann gemerkt, dass ich immer mehr ein zwiespältiges Verhältnis zu Rap entwickelt habe. Ich habe immer Representerrap geliebt. Rap um des Raps willen. Einfach Punchlines. Thema: ich bin geil und du nich! Es ging um Skills, darum gut zu flowen, gute Reime zu haben und clevere Wortspiele. Das war meine Welt.

Flipside: die damit einer gehende Coolness und konstante Competition haben mich in einer kontinuierlichen Panikattacke leben lassen, die durch Weed und Bier gedämpft wurde aber immer im Hintergrund pulsierte. Das schlimmste war dabei zu sein, während andere konzentriert eine Aufnahme von mir hören. Und bewerten. Ein fertiges Produkt, bei dem ich die Entscheidung getroffen habe, dass es so fertig und gut ist. Wäre es nicht perfekt, hätte ich es ja nicht gemacht, weil ich weiß ja was gut ist. Und ich bin gut. Zumindest behaupte ich das in meinen Raps die ganze Zeit.

Irgendwann zwischen endlosem Promogeposte auf Myspace für unser neues Mixtape “Bretter, die die Welt bedeuten” bin ich auf der gaaanz neuen Videoplattform Youtube wieder über Whose Line is it Anyway gestolpert. Ich habe zu der Zeit bei der englischsprachigen Theatergruppe der Uni gespielt und dachte, naja, ich spiel Theater und ich mag Freestyle, also ist das vielleicht was für mich. Kurz gegooglet und zack eine Gruppe gefunden, die ein Casting macht, mich im Affekt angemeldet und wurde prompt genommen.

Ab da habe ich für ein paar Jahre eine Art Doppelleben geführt. Ich mochte das Improtheater, und ich war gut. Ich hatte Erfolgserlebnisse und habe mich auf der Improbühne lebendig und frei gefühlt. Aber andererseits war mir auch vieles davon peinlich. Diese übertriebene Betonung der Fröhlichkeit. Die matching T-Shirts mit dem Gruppennamen drauf. Diese Albernheit und Jagd nach Schenkelklopfer. Ich mochte schon immer Komik, aber das war doch ein bisschen viel des guten.

Andererseits wurden viele meiner Rap-Kontexte immer härter. Rap wurde immer mehr Straße, während mein Theaterding immer mehr Boulevard wurde. Was davon bin ich? Ich habe die beiden Welten strikt getrennt und mich mit beidem nur bedingt identifiziert. Ich wusste genau, was ich an den Dingen mochte, aber konnte zu keinem so richtig stehen und habe das eine immer vor dem anderen verheimlicht.

Es dürfte so 2009 oder 2010 gewesen sein, da ist es passiert. Ich habe das Wohnzimmer meiner Mutter gesaugt und dabei den Podcast improvised New York gehört. Ein Interview mit der Gruppe Centralia, benannt nach einer seit 30 Jahre brennenden Stadt in Pennsylvania. (Fun Fact: Jahre später bin ich Kevin Scott von Centralia in dem kleinsten Back Stage der Welt in London begegnet und ihm mit 10 cm Abstand zwischen unseren Nasen gesagt, dass er mein Impro-Papa ist. Es war akward und schön.) In diesem Podcast habe ich von einem Impro erfahren, dass für mich alles vereint hatte, mit dem ich mich aufrichtig identifizieren konnte: es war klug, komisch, künstlerisch und Cool. Das Impro aus New York und Chicago von dem dort erzählt wurde, hatte diesen Underground Vibe, den ich von HipHop Jams aus den neunzigern kannte - ranziger Club, alle irgendwie Teil einer Geheimgesellschaft mit ihren eigenen Codes, komisch und zugleich Klug. Dazu noch offen und verletzlich. Offen verletzlich. Und das machte es besonders komisch und klug. Das gab es weder in den Schenkelklopfer-Improspielchen noch im Battlerap. Es war weder anbiedernd noch abgrenzend.

Auch wenn dieser Podcast nur ein kleiner Einblick war, habe ich gespürt, dass genau das mein Ding ist, ich habe das Licht gesehen. Ähnlich, wie als ich mit 14 auf der Breminale das erste Mal MC Rene gesehen habe. Viel weniger klamaukig auf der einen Seite und melodramatisch auf der anderen Seite, als das Impro, was ich bisher in Deutschland kennen gelernt habe. Das war revolutionär und doch so selbstverständlich, was dort aus den kleinen Minilöchern der Kopfhörer strömend in mich eindrang: dass Kunst und Komik zusammengeht. Dass es eine Community für kluge, coole, komische Kunst gibt. Man kann es richtig ernst meinen und als Konsequenz richtig gekonnt komisch sein. Nicht nur entweder großes Theater oder Schenkelklopfer.

Ich bin dem weißen Kaninchen gefolgt und immer weiter eingetaucht diese Welt. Ich wollte alles wissen über die Herausforderungen eines thematic Harolds, das kreative Chaos eines organic Openigs und die Alchemie des Games der Szene. Ich habe versucht zu verstehen, was ein analoger zweiter Beat ist, ohne je einen gesehen zu haben. Ich habe tausende Stunden UCB Theater Podcast gehört und kannte jedes der 582 obskuren Namen der Harold-Teams und ihrer Spieler:innen auswendig, von Monkey Dick zu Grandma’s Ashes, von Michael Delaney zu Elli Kemper, nur um an die kurzen Fetzen zu kommen, in denen implizit beschrieben wurde, was die da machen und wie das eigentlich funktioniert. Es war, wie als ich mit 14 gebannt vor meiner Stereoanlage saß und HipHop Mailorderkataloge und die Shout-outs auf CD-und Plattencovern intensiv studiert habe, um einen Überblick zu bekommen und die Schlüssel zu finden, die mir die Türen öffnen in diese besondere Welt. Da war mir klar, was ich wollte: Theater machen, das Lebendig ist, das eine Community produziert, das Mysteriös ist und eine geheime Sprache spricht, das sich nicht dafür schämt komisch zu sein und in dieser Komik klug und vor allem menschlich ist.

In diesem Moment, mit der Staubsaugerdüse unter dem türkisen Sessel meiner Mutter fuchtelnd, habe ich entschieden, dass diese Kunstform meine Zukunft bestimmen wird. Ich werde diesen Style des improvisierten Theaters in Bremen etablieren. ich möchte Geburtshelfer einer Community werden, die Theater macht, das sich so anfühlt wie Hip Hop in den Neunzigern. Nur ein bisschen netter.